Mal ohne Köpfchen

Ein Erfahrungsbericht über einen herbstlichen Ausflug zum Marathon – und weiter.

Nach DM Lang und Deutschland-Cup war meine Saison im Gegensatz zur nationalen OL-Saison noch nicht ganz zu Ende. Um erfahrener im Laufen ohne Denken zu werden und um ein schönes Projekt mit meinen hiesigen (mittelhessischen) Lauffreunden zu verwirklichen, hatte ich mich noch für meinen ersten großen Stadtmarathon (Frankfurt) angemeldet und für meinen ersten Ultramarathon (alles was länger als Marathon ist, heißt so), die Deutschen Meisterschaften im 50km-„Straßenlauf“ in Bottrop.

Bei der DM hatten wir uns das Ziel gesetzt, den Mannschaftstitel bei den Herren zu gewinnen, trotz Mangels an Erfahrung und spezifischer Vorbereitung, was wir durch jugendlichen Kampfgeist zu kompensieren hofften. Das galt besonders für mich, meine Teamkameraden waren jeweils schon „Ultras“ gelaufen.

Nach der DM Lang hieß es also nicht ausruhen, sondern nochmal zwei Wochen gut trainieren, denn eine weitere Woche später stand schon der Frankfurt-Marathon an.
Mein Kumpel Jan-Hendrik hatte mir einen persönlichen Trainingsplan geschrieben, mit dem ich mich 8 Wochen lang vorbereiten sollte. Ich war auch sehr dankbar und voller Vorfreude auf das Projekt, aber konnte den Plan dann leider zu großen Teilen nicht ausführen aufgrund meiner Arbeit im Krankenhaus, der OL-Wettkampfwochenenden und v.a. einer Fußverletzung vom Klettern.

So hatte ich viel zu wenig schnelle Trainings, Trainingskilometer und lange Läufe absolviert. Im Sommer war ich leider auch davor aus Urlaubsgründen fast nicht gelaufen. Und Faulheit wird bestraft!

Frankfurt-Marathon 2013: die Spitzengruppe bei der Mainüberquerung
Frankfurt-Marathon 2013: die Spitzengruppe bei der Mainüberquerung
(von: http://www.runnersworld.de/frankfurt-marathon-2013)

27.10.2013, Frankfurt a. M.
Anreise früh entspannt mit dem Zug, Startnummer holen, den ganzen Rest aus der Teilnehmertüte (Werbung) gleich in den Mülleimer, Laufsachen an und auf ins Getümmel des nach Zielzeit zugeteilten Startblocks. Man kann vor lauter Leuten am Anfang kaum ungestört seine Schritte machen – wenn man so „typische/volle“ Zeiten wie läuft 3:30h (5min/km), die ganze Strecke lang! Die Veranstaltung war ein Riesenkommerz mit Läufermesse und Sponsoren usw. – unschön. Es macht dann aber trotzdem Spaß, mit der Masse durchs Häusermeer zu gleiten. Leider hatten wir extremen Wind und tlw. auch Regen. An meiner schlechten Leistung hat das aber wenn überhaupt nur eine Teilschuld. Man muss locker anfangen. Das habe ich auch getan und war bis km 30 gut im Plan. Dann jedoch bin ich richtig eingebrochen. Ich musste alle frisch geschlossenen Kameradschaften (interessanterweise war ein großer Teil der ähnlich schnellen Läufer um mich herum Dänen, Schweden und Norweger) wieder ziehen lassen, wurde nur noch überholt, z.T. von Leuten, die ich schon vor Ewigkeiten stehen gelassen hatte. 10min habe ich verloren auf den letzten km. Es war ein schreckliches Gefühl, besonders als ich einige km vorm Ziel tatsächlich kurz gehen musste!

Wegen der Bedingungen und der unzureichenden Vorbereitung hätte ich am Anfang wohl noch mehr bremsen müssen; die 3s/km, die ich bewusst langsamer als die angepeilte Zeit gelaufen bin, waren wohl nicht genug.
Naja, 2:49:18h war zwar nicht das, was ich hätte laufen sollen/können/wollen, aber aus Fehlern lernt man ja.

Als die Speischer auffülle...
Als die Speischer auffülle – ei sischer!

10.11.2013, Bottrop.
Heute hieß es also schlau sein, locker bleiben, Kräfte sparen, mehr essen (Bananen, Trockenfrüchte, Kekse, mit Wasser, Malzbier oder was es eben gab – alle 5km so viel wie möglich rein). Und es hat geholfen: kein Einbruch, keine Krämpfe, gut gefühlt bis zum Ende und auch danach. Bin sogar ganz allmählich immer schneller geworden, weil das so wichtige Bremsen am Anfang nun richtig geklappt hat. Es muss am Anfang so langsam sein, dass es einem unangenehm ist, dass man am liebsten etwas mehr auf die Tube drücken würde.
Und plötzlich ist man nicht mehr die Beute, sondern derjenige, der einen sich übernommen habenden Konkurrenten nach dem nächsten einsammelt. Das gibt extra Kraft!
Bei der Marathonmarke (2:52h) war ich noch ganz entspannt und voller Kraft, so dass ich den Rest der Strecke richtig genießen konnte. Die richtige Taktik ist bei langen Wettkämpfen tatsächlich der Schlüssel zum Erfolg.
Ja, bei meinem Ausflug zum langen, „kopflosen“ Laufen (also ohne Karte und Orientierungsaufgaben) habe ich gelernt, dass doch ziemlich viel Köpfchen gefragt ist, denn die kluge Tempowahl und die Psyche spielen eine Riesenrolle bei solchen Wettkämpfen.

Die Strecke des jährlich stattfindenden Bottroper Herbstwaldlaufes ist übrigens nix Ruhrpott-Klischee, sondern eine (2x zu laufende) 25km-Runde nur im Wald, auf schönen Waldwegen entlang idyllischer Waldseen, ohne ein einziges Haus! Deshalb steht oben auch 50km „Straßenlauf“ in Anführungszeichen. Viel schöner als ein City-Marathon. (Aber wie gesagt, dort haben die vielen Läufer aus aller Welt, die Zuschauer und die Stimmung auch was für sich.)
Jan-Hendrik schlug sich achtbar als Gesamt-5. (3:19:32h) und ich als Debütant kann mit meinem 10. Platz der Gesamtwertung (3:23:59h) ebenfalls zufrieden sein. 441 LäuferInnen, von denen immerhin 86% bis ins Ziel gekommen sind, haben sich die 50km angetan. Auch unser dritter Mann lief wie er sich vorgenommen hatte unter 4h, aber leider reichte es nicht zum angepeilten Mannschafts-Meistertitel, weil die Männer des TV Jahn Kempten nach Addition der drei Laufzeiten „ultra-knappe“ 20s vor uns waren!!! 🙁
So richtig freuen konnten wir uns über die Silbermedaillen nicht, aber mit Enttäuschungen umgehen macht ja auch wieder stärker.

3:17:18 3:38:15 3:44:58=10:40:31 3:19:32 3:23:59 3:57:20=10:40:51
3:17:18 3:38:15 3:44:58=10:40:31
3:19:32 3:23:59 3:57:20=10:40:51

Trotzdem, es war eine tolle Erfahrung und beeindruckend zu sehen, was der Körper für Energierserven hat. Drei, vier, fünf Stunden durchzulaufen ist gar nicht so schwer, auch wenn es anfangs unvorstellbar klingt. Aber wenn man mal gesehen hat, was für Gestalten selbst einen 24h-Lauf erfolgreich beenden…
Ich habe teilweise verstanden, was die in Deutschland stetig wachsende Ultraläufer-Gemeinschaft an ihrem Sport so fasziniert. Aber da ich meine Gelenke noch viele Jahrzehnte brauche und nicht die Zeit habe für ultra-viele Wochenkilometer, bin ich auch nach dem Lauf hart geblieben: Nein, ich mache damit nicht weiter, so sehr mir die Sache auch liegen mag; macht ihr mal euer Ding und ich gehe wieder zurück zu meinen „normalen“ Sportarten und Lauf-Distanzen. Wobei die 100km-Läufer uns OL“er wahrscheinlich als genau so verrückt erachten wie wir sie! 😉